Der Zaubersee
 

Sie trafen sich auf einem See. Zwei kleine Frösche sprangen auf ein Rosenblatt und trällerten die schönsten Lieder in gemeinsamer Gleichheit. Von wonnender Schönheit angelockt, kamen andere Frösche und hörten den leisen, zarten Klängen der wunderbaren Stimmen zu. Es war für sie kein schreckliches Quaken und Grunzen, wie für uns Menschen, es waren Töne, die das Ohr beflügelten und in eine seltsame Seeligkeit tauchen ließen, die die anderen Frvsche bis dato nicht kannten.

Doch plötzlich verstummten die traumhaften Klänge und die beiden Frösche, die auf dem Rosenblatt saßen, waren Vergangenheit und verschwanden im Nichts. In den darauffolgenden Tagen machte sich Unmut und Traurigkeit in der Unterwassergemeinschaft breit. Es kamen keine Gespräche mehr zustande. Alle Frösche waren immer noch von den Gesängen beflügelt und konnten an nichts anderes mehr denken. Auch deren Arbeit kam zum Erliegen. Die Froschkönigin, die ihrerseits nur in ihrem Palast verweilte, weltfremd wie sie war, den Gesang einst nicht hörte, konnte die anderen armen Fröschlein nicht verstehen und legte wie ein Fluch schreckliche Gesetze auf die kleine Gemeinschaft. Sie wurde fortan von seelischer Grausamkeit erschüttert und das arme Volk litt unter der lang andauernden Herrschaft der Patriarchin.

Einige überlebten es nicht, viele standen kurz davor, in die Wüste auszuwandern. Da erhallte wieder diese wunderschöne Stimme, doch diesmal allein. Sie trällerte ein trauriges Lied, das die Herzen der gesamten Frösche erweichen ließ. Und wieder versammelte sich die Menge an der Oberfläche und fungierte als riesige Zuschauermenge. Viele Tränen flossen und auf einmal war der ganze angestaute Kummer wie im Nichts verflogen.

Da kam ein Prinz des Weges. Von den Klängen angelockt, konnte er nicht anders, als den Frosch mit der Stimme aus Gold, einen Kuß zu geben. Nicht, um die vermeintliche Froschprinzessin von ihrem Fluch zu erlösen, den eine böse Hexe einst über sie gelegt hatte, sondern, um das schreckliche Gequake abzustellen. Der traurige Frosch verwandelte sich in eine wahrhaftige Prinzessin und, dem Fröschen zum Trotz, aus Dank verschwand sie mit dem Prinzenbürschlein im Unterholz, in den Tiefen des angrenzenden Waldes, 
und sie wurden nicht mehr gesehen. Die Froschgemeinschaft, immer noch von den Kldngen gefangen, verschwand für immer gebeutelt, aber nun einsichtig, spuhrlos im Zaubersee.

Damit verblasste die einstige Idylle des Zaubersees und zurück blieb ein leerer, einsamer See, der nur noch vereinzelnd von geschwindigen Vögeln und seltsamen Wanderern besucht wurde.

Wenn man heute durch die benachbarten Wälder streift, so kann man immer noch an ganz bestimmten Tagen diese wundervolle Prinzessinnenstimme hören, wie sie ihre Lieder singt, die die Geschichten des Zauberwalds zum Inhalt haben. Den Prinzen hört man nicht, denn er regiert nun über ein anderes fernes Land. Die kleine Froschgemeinschaft ist derweil nur noch Legende. Obwohl sich manche Druiden und Elfen erzdhlen, daß an gar bitterkalten Winterabenden, wo die Sterne heller als der Mond leuchten, die Eisdecke des Sees aufbricht und ein paar Fröschlein heimlich ihre Sünder und Straftätern ungeschützt den schrecklichen Klängen des nun nicht mehr Frosches aussetzen. Doch das ist alles nur ein kleiner Mythos.

(Tisi)